Samstag, 6. April 2013

Rundbrief - reloaded


' […] time stops: past, present and future exist as a single overwhelming force. […] But at such moments time doesn't move. And if time isn't running , then all events that we think of as past or future are actually happening simultaneously.' Sebastian Faulks


Nach einem halben Jahr in der Ferne, oder zumindest abseits von meiner Heimat, habe auch ich das Gefühl, dass Zeit nicht mehr linear verläuft – bin ich gerade erst angekommen, so bin ich jetzt schon für immer hier gewesen. Auch wenn sich das Wetter gefühlt seit Oktober letzten Jahres nicht mehr verändert hat, und sich somit das Gefühl verstärkt, dass die Zeit still steht; ergeben sich zumindest in meinem Alltag immer wieder neue Muster und Formen.
Unglücklicherweise sind zwei meiner Klienten gestorben, sodass ich einige Wochen Löcher in meinem Tagesablauf zu flicken hatte. Mittlerweile habe ich neue Klienten zugewiesen bekommen, und alles läuft weiter in seinen geregelten Bahnen. Ich freue mich besonders auf den Sommer
(, wobei der Frühling für den Anfang auch schon nicht schlecht wäre), denn das Bummeln durch London ist bei Sonne für Geschobenen und Schiebenden durchaus angenehmer.
Auch meine Freizeit nutze ich anders; zum einen habe ich wieder meine Tanzklassen gewechselt, wenn auch zu ihrer finalen Konstellation, wie ich hoffe. Und zum anderen verbringe ich viel Zeit, um mich über verschiedene Themen zu informieren.


Im Januar habe ich Mitfreiwillige in Israel besucht, um ihr Leben in einem anderen Land kennenzulernen. Ich habe Erfahrungen machen dürfen, die ich nie wieder vergessen werde.
Exemplarisch kann man wohl zwei Extreme festhalten. Zum einen schwamm ich in Tel Aviv im Meer, während es eine Stunde entfernt im hügeligen Jerusalem auf Palmen schneite; zum anderen saß ich gemeinsam mit einer Freundin in einem Bus, während wenige Meter entfernt eine Autobombe explodierte. Insgesamt kann man wohl sagen, dass ich danach die Welt nicht mehr verstand - seither wird mein Wissensdurst mit Lektüre über den Konflikt gestillt. Zudem besuche ich öffentliche Vorlesungen an der SOAS (School of Oriental and African Studies), um einen möglichst umfassenden Überblick zu erlangen.
Generell denke ich, dass es wichtig ist Interesse an andere Kulturen zu entwickeln. Eine friedvolle Gemeinschaft kann letztendlich nur entstehen, wenn wir versuchen unser Gegenüber zu verstehen.
Die Angst vor fremden Kulturen ist die Basis für Fremdenfeindlichkeit (wie sie beispielsweise in Israel nahezu in Vollendung auftritt).

Doch auch in unserer Gesellschaft müssen wir für gegenseitiges Verständnis eintreten. Eine Gemeinschaft ist überall erstrebenswert.
Zurzeit wird der Beitritt Rumäniens in die Europäische Union debattiert. Hier im Vereinigten Königreich ist die Angst vor einer weiteren Migrationswelle groß, immerhin muss sich das Vereinigte Königreich schon seit seiner Stellung als Kolonialmacht bis zur Mitte des 20 Jahrhunderts mit der Problematik der Einwanderung auseinandersetzen. Immer mehr Menschen haben sich die Verbindung zu nutze gemacht, um im Vereinigten Königreich einen Neuanfang zu starten. Auch heute noch sind die Commonwealth neben der Europäischen Union ein entscheidender Faktor.
In mir löst die Furcht jedoch nur Unverständnis aus, gerade weil die Integration von Menschen fremder Kulturen vorbildlich gelöst zu sein scheint.
In der Vorweihnachtszeit besuchte ich die Weihnachtsvorstellung einer Grundschule in unserer Nachbarschaft. Eines unserer im Projekt lebenden Kinder nahm an der Vorstellung teil.
Als ich das Schulgebäude betrat, wurde ich positiv überrascht – ein Abbild von Integration.
Neben dem Kruzifix schmückte das muslimische Glaubensbekenntnis den Haupteingang. Und auch die anderen Wände des Gebäudes waren meist mit Projektarbeiten gestaltet, die andere Kulturen oder Religionen zum Thema hatten. Weiterhin erfuhr ich, dass neben der Geburt Jesu auch das hinduistische Diwali (Lichterfest) und das muslimische Eid al-Fitr (Ende der Fastenzeit) gefeiert worden waren. Es wird deutlich, dass Menschen zur Integration bereit sind, wenn auch Interesse an ihrer Kultur gezeigt wird. Immerhin bedeutet Integration nicht, dass man seinen kulturellen Ursprung hinter sich lassen soll, vielmehr geht es darum ihn mit seinem kulturellen Umfeld zu verbinden. Wenn Türen verschlossen werden, kann niemand eintreten.
Das Vereinigte Königreich ist ein Land des Christentums, des Islams und des Hinduismus, ... – eben ein Land der Menschen, die in ihm leben. Migration wird niemals ein Problem sein, wenn Integration zu einer solchen Vielfalt führen kann.

Auch das Leben in unserer Hausgemeinschaft zeigt immer wieder auf, dass Menschen mit verschiedenem kulturellen und religiösen Ursprung harmonisch miteinander leben können. Zurzeit beherbergt unser Haus Menschen aus Pakistan, der dominikanischen Republik, Kamerun, Lettland, Litauen, Portugal, England und Deutschland; das schließt immerhin schon sieben verschiedene Sprachen und zwei verschiedene Religionen ein;
und dennoch lebt man nicht nebeneinander, vielmehr fügen sich unsere Leben ineinander.
Und wenn ich am frühen Abend dann in die Küche komme, hängt der Geruch von Essen in der Luft. Man hört Kinder spielen und sie sind laut. Man hört Eltern kochen und sie sind genervt.
Und genau in solchen Momenten weiß ich, dass wir eine Familie sind.





Euer Jens